Ich erinnere mich sehr genau an meinen ersten “richtigen” Flashback bezüglich des Krankenhaus-Traumas. Ich war irgendwas bei 11, 12, 13 Jahre alt und es war abends, im Fernsehen lief eine Sendung, in der ein Mädchen an eine Liege fixiert wurde. Meine Mutter schaute sich den Film an, und ich kam gerade zu dieser Szene ins Wohnzimmer.
Ich sah die Szene erst nur aus dem Augenwinkel, schaute dann richtig hin und dann flippte ich aus.
Ich rannte herum, schrie, schlug mir mit der Faust gegen den Kopf, wimmerte zwischendurch immer wieder “das könnt ihr doch nicht machen, das dürft ihr dem Kind nicht antun, bitte nicht, NEEEEEEEIIIN” und dann schrie ich wieder, meine Mutter versuchte mich zu beruhigen und ich schlug um mich, hockte mich in eine Ecke, schaukelte mit dem Oberkörper, hielt mir immer wieder die Ohren zu, rieb mir die Fußgelenke, Kniekehlen, Armbeugen und Hände, schaute nach, versuchte, unsichtbare Nadeln herauszuziehen, geriet immer mehr in Panik. Es war furchtbar.
Gefühlt dauerte dieser Zustand eine Ewigkeit, tatsächlich aber wohl sicherlich was bei 30 Minuten oder so. Immer wieder schlug ich mit dem Handballen vor meine Stirn, rannte panisch umher, wimmerte und schrie, hockte mich dann wieder wiegend in eine Ecke und niemand konnte an mich herankommen, keiner konnte mich beruhigen.
In meiner Erinnerung war da nur meine Mutter, ich weiß nicht, wo meine Geschwister oder mein Vater zu der Zeit waren. Ich nahm meine Mutter als Bedrohung wahr, dann wieder als Rettung, dann wieder Panik.
Irgendwann habe ich mich halbwegs beruhigt und schluchzte nur noch und wimmerte immer wieder „das könnt ihr doch nicht machen“.
Als ich wieder ansprechbar war, hat meine Mutter mir schon wieder erzählt, was im Krankenhaus passiert ist, wie sie mich in Empfang genommen hat. Und dass sie davon ausgeht, dass ich mich gerade daran „richtig“ erinnert habe. Sie konnte mich dennoch nicht auffangen und meinte, es sei ja schon lange her und vorbei und es sei Zeit, nach vorne zu sehen. Ich solle ins Bett gehen und an etwas schönes denken, die Angst geht schon vorbei.
Ich wusste von diesem Aufenthalt und von meinem Zustand damals, er war immer wieder Thema, besonders, weil man mir eintrichterte, dass ich mindestens jährlich ein EEG schreiben lassen muss, wegen Verdachts auf Epilepsie. Man müsse das beobachten. Ich sei ja was „besonderes“ und von dem Erlebnis kam ja auch meine Ablehnung meiner Mutter gegenüber. Und deshalb hatte ich ja so Angst vor Spritzen.
Der Aufenthalt war sowieso immer wieder Thema, allerdings vor allem als Begründung meiner Mutter, dass unser Verhältnis so schlecht sei und ich ihr das ja heimlich vorwürfe. Unbewusst. Und dass sie ja an allem schuld sei. Und es ginge ihr so schlecht damit, dass ich so kalt ihr gegenüber sei.
An diesem Abend zerbrach erneut etwas in mir: die kleine Hoffnung, dass ich vielleicht doch eine Mama habe, so eine richtige, die für einen da ist. Aber nein.
Es gab keinen Schutz für mich, es wird nie Schutz oder Liebe oder ähnliches für mich geben, da war ich jetzt sicher. Ich selbst konnte mich nicht schützen, ich war zu jung. Ich konnte mich auch als Zweijährige nicht schützen, natürlich nicht. Niemand hätte sich davor schützen können, auch kein Erwachsener in der Situation.
Was ich an dem Abend gelernt habe – ich kann auf gar keinen Fall zu meiner Mutter gehen, nicht mal in der größten Ausnahmesituation. Ich war alleingelassen, einsam. Das passte zu meinem Gefühl, das ich mein Leben lang schon hatte. Die Konsequenz war, dass ich mich noch mehr in mich zurückzog, und mir auch in anderen, traumatischen Situationen keine Hilfe suchte. Schon gar nicht bei meiner Mutter.
Wenn ich diese Erinnerung so niederschreibe und nochmals lese, schüttelt es mich, es steigt die alte Angst auf, Tränen sind in meinen Augen, es nimmt mir den Atem, ich reibe wieder meine vernarbten Körperstellen, aber ich kann nicht richtig weinen. Ich traue mich nicht. Ich kann die Gefühle noch nicht voll zulassen. Ich bin noch nicht stark genug dafür. Ich hoffe sehr, dass ich es lernen kann, damit ich endlich loslassen und leben kann.