Wenn man sich entschließt, ein Traumatagebuch zu schreiben, dann ist es vielleicht eine gute Idee, erst einmal zu erzählen, worum es überhaupt geht.
Hier also meine Geschichte.
Inhalt:
Vorgeschichte in kurz
Im Alter von kurz vor 2 rum hat meine Mutter bei mir 2-3 Mal beobachtet, dass ich während des Spiels mit Bauklötzen plötzlich die Hände schüttelte. Also Arme seitlich angewinkelt und dann mit den Händen geflattert. Währenddessen war ich nicht ansprechbar und reagierte nicht.
Das hat sie so sehr verunsichert, dass sie den Kinderarzt fragte, und der hatte auch keinen Rat, schlug aber vor, mich besonders wegen der Nichtansprechbarkeit ins Lübecker Kinderkrankenhaus zu bringen, auf dass ich auf Epilepsie getestet würde. Die flatterigen Hände könnten auch darauf hindeuten, aber nichts genaues weiß man nicht.
Der Aufenthalt
Im Februar 1974 fuhr mich meine Mutter dann also ins Krankenhaus und lieferte mich dort ab. Sie sollte direkt wieder nach Hause fahren, denn es würde die Kinder nur unnötig aufregen, wenn die Mutter dabei ist. Man hätte die Kinder besser unter Kontrolle. Mit flauem Gefühl im Bauch fuhr sie davon und ließ mich dort.
Darauf folgte dann für mich das, was ich bis heute als Folter empfinde: eine 10 Tage lange Tortour mit hauptsächlich Bluttests und anderen Nadelstichen, EEGs noch und nöcher, und weil ich mich gewehrt und geschrieen habe, wurde ich dafür an Hand- und Fußgelenken fixiert, meine Schultern wurden heruntergedrückt, ich hatte Gurte um den Bauch, Beine, Arme.
10 Tage lang mutterseelenallein in dieser Hölle. Ich war zwei Jahre alt. ZWEI FUCKING JAHRE ALT, das gilt nicht mal wirklich als Kleinkind. Habt Ihr Euch mal angesehen, wie groß so ein zweijähriger Mensch ist?
Als meine Mutter mich nach den 10 Tagen abholte, klammerte ich mich an den Hals der Krankenschwester. Ich wollte nicht zurück zu der Frau, die mich in dieser Hölle allein gelassen hat.
Meine Mutter hat mir erzählt, dass ich an den Füßen, Fußgelenken, Kniekehlen, Armbeugen, Handgelenken, Händen und Kopfhaut völlig zerstochen war und Narben hatte. Man sieht die Narben teils heute noch, weit über 40 Jahre später, besonders an den Handgelenken und auf dem Handrücken. Sie fallen nicht auf, aber sie sind da.
Direkte Folgen
Das Verhältnis zu meiner Mutter hatte einen sehr tiefen Bruch erlitten. Es war schon vorher sehr schwierig zwischen uns, ich war sehr still, abweisend, mochte nicht kuscheln, danach jedoch wehrte ich mich, wann immer sie versuchte, mich zu berühren. Die Ärzte sagten, das würde sich schon alles “herauswachsen”.
Ich hatte damals Panik, sobald meine Nase Krankenhaus, Desinfektionsmittel und ähnliches wahrnahm, Spritzen sah, sogar spitze Gegenstände wie Gabeln machten mir eine Heidenangst.
Spätere Folgen bis heute
Es gibt bis heute das Problem, dass ich Spritzen mit Kanülen nicht sehen kann, ohne in die alte Todesangst zu fallen. Ich habe Panik davor, ins Krankenhaus zu müssen. Ich ertrage nur sehr schwer Blutabnahmen. Ich kriege Angst, wenn ein kleines Mädchen zu mir im Spaß sagt “Ich pieks dich mit dem Kugelschreiber”. Jeder Arztbesuch ist die reinste Hölle.
Leider bin ich inzwischen mit mehreren Krankheiten und Behinderungen gesegnet, die regelmäßige Arzt- und Therapeutenbesuche nötig machen:
- Narkolepsie mit Kataplexien, was bedeutet, dass ich bei starken Gefühlen wie Lachen, Spaß, Erschrecken und Angst eine Lähmung des Körpers bekomme und nicht mehr reden kann. Deshalb gehe ich nur ungern allein raus, denn Erschrecken -> Kataplexie -> Gefahr, dass jemand einen Krankenwagen ruft -> Nicht in der Lage zu antworten oder mich zu bewegen -> Spritzen -> Selbe Situation wie damals.
- Fibromyalgie, eine Krankheit der Nervenenden in den Muskeln. Im Prinzip tut mir ständig mein ganzer Körper weh, mal hier, mal da, ich werde extrem müde und kann kaum noch gehen, habe starke Schmerzen, und das schönste daran ist: es wird richtig übel, wenn ich Stress habe. Sowas wie Angst, Panik, Aufregung, aber auch positiver Stress wie Spaß.
Ich lebe also in ständiger Angst, und diese Angst lähmt nicht nur, sie tut teilweise extrem weh. Und um dieser Angst irgendwie Herr zu werden, um ein irgendwie lebenswertes Leben hinzukriegen, trotz der ganzen Krankheiten, muss ich mich dem stellen. Das heißt hier konkret: Verarbeitung dieses so verhassten Traumas.
Wie ich das anstelle, hoffentlich erfolgreich, könnt Ihr hier mitverfolgen. Es wird nicht lustig…
Im Nachgang – was ich herausfand
Ich habe mir vor ca. 10 Jahren den Krankenhausbericht über meinen Aufenthalt schicken lassen. Es waren anderthalb Seiten, auf denen nur stand, dass ein paar Tests gemacht wurden, diese alle negativ waren, und dass man das weiter beobachten sollte.
Was ich heute weiß: Ich hatte nie Epilepsie, das Flattern mit den Händen mache ich bei großer Aufregung/Freude etc. heute manchmal auch noch, es hat sich nämlich herausgestellt, dass ich (obendrein auch noch) Autistin bin.