Ich befand mich im Sommer 1999 in Bad Herrenalb, genauer in einer Klinik für Psychosomatik mit Schwerpunkt Süchte aller Art, Angehörige von Suchtkranken, Missbrauch. Ich war dort, weil ich dringend eine Therapie brauchte, nachdem ich nach Beendigung meines 1-jährigen Arbeitsvertrages in eine tiefe Depression fiel. Meine Mutter schlug diese “12-Schritte-Klinik” vor, weil ich ja Kind eines Alkoholikers sei und das alles sicher nur daran läge (sie war damals sehr aktiv bei Al-Anon, einer 12-Schritte-Gruppe für Angehörige von Alkoholikern).
Über diese Klinik und den Aufenthalt dort werde ich sicher noch ein paar weitere Beiträge schreiben, denn teils war es hochinteressant dort. Eine Sache jedoch war ziemlich kacke. Zunächst muss ich kurz darauf eingehen, was die in der Überschrift bereits erwähnte Bonding-Therapie ist.
Inhalt:
Bonding-Therapie nach Casriel oder auch New-Identity-Process (NIP)
Wikipedia hat dazu hier einen schönen Artikel. In Kurzform: Durch intensiven Körperkontakt (entweder durch festes Umarmen oder “Mattentherapie”, bei der der “aktive” Part unten liegt und der “passive” auf dem aktiven) werden intensive Gefühle ausgelöst, die von Angst über Schmerz, Wut bis zu den “positiven” Gefühlen wie Freude, Liebe geht. Diese Gefühle gilt es zu erleben und herauszubrüllen. Der aktive Part erlebt diese Gefühle und schreit sie heraus. Der Passive hat eigentlich nichts anderes zu tun als den aktiven Part zu halten und einfach da zu sein. Im Idealfall wird mit Wut, Angst, Schmerz begonnen und mit Freude, Liebe u.ä. aufgehört, sodass die schmerzvolle Erinnerung sich in eine positive Erfahrung verwandelt.
Insbesondere bei Suchtkranken jeglicher Couleur kann das gut wirken, ebenso bei Depressionen, bei Traumapatienten allerdings kann das leider gehörig nach hinten losgehen, wie in meinem Fall. Nämlich dann, wenn nach Aufbrechen des Traumas nicht richtig aufgefangen werden kann (oder will) und nicht nur die Mitpatienten, sondern auch die Therapeuten davon überfordert sind.
Genau das ist mir passiert. Es gab in dieser Klinik unter anderem für mich Einzeltherapie (ob verpflichtend/für alle oder freiwillig, weiß ich nicht mehr), Gruppentherapie (Pflicht), Körperbezogene Integrationstherapie oder ähnlich, den genauen Namen weiß ich nicht mehr, auch Pflicht, Mattentherapie (freiwillig), Hütte (freiwillig) und einiges mehr.
Matte und Hütte
Weil mir die Mattentherapie eigentlich ganz gut getan hat (das Herausbrüllen von Wut hat schon was für sich^^), habe ich mich auch für die Hütte angemeldet. Vielleicht war das etwas naiv, aber ich dachte, als Depressive wäre das Herankommen an die Gefühle nicht doof. Lieber irgendwas fühlen als nur Leere.
In dieser Hütte – ein Wanderausflug durch den bergigen Wald in eine Waldhütte mit mindestens 2 Therapeuten und, wie viele waren wir noch… höchstens 20, eher weniger, hatten wir mehrere teils etwas merkwürdig anmutende Therapien.
Das eine war irgendwas mit Tanzen und dabei schreien, das andere eben besagte Matte. Dazwischen gab noch andere etwas esoterisch angehauchte Sachen, Indianische Rituale und so ein Zeug.
Matte mit Flashback/Retraumatisierung
In einer dieser Sitzungen, die üblicherweise mehrere Stunden dauert (man wechselt nach einiger Zeit die Position) überkamen mich Erinnerungen. Sehr intensiv, sehr bildhaft, inklusive Gerüche, Geräusche, übergroße Weißkittel, Nadeln, überall nur Nadeln, Schmerzen, Stiche, Druck an Hand- und Fußgelenken, Schulter, Kopf. Ich geriet in Panik. Was dann geschah, ob mein Partner dann von mir runter ist, weiß ich nicht mehr.
Was ich noch weiß, ist, dass sich die betroffenen Körperstellen (Hand- und Fußgelenke, Handrücken, Armbeugen, Kniebeugen, Fußsohlen, Fußrücken, Kopfhaut) so anfühlten, als müssten sie kotzen. Ich weiß, das klingt eigenartig, aber so empfand ich das damals und heute auch noch manchmal. Ich habe die Stellen abgerieben, war immer noch panisch und wiegte mich hin und her.
Die Reaktion der Therapeuten
Bei der Besprechung am Ende der Sitzung, wo jeder in der Runde erzählen sollte, was er erlebt hatte während der “Matte”, konnte ich nur stottern und stammelte etwas von Spritzen und Panik und Weißkitteln und – es wurde übergangen. Man hat durchaus gemerkt, dass da etwas schief gegangen war, hat aber anscheinend das Wohl der Gruppe über das “Einzelschicksal” gestellt. Ich sollte an dem Punkt nicht weiterreden, sondern das in der Einzeltherapie besprechen.
Ich wurde also mit diesem Trauma komplett allein gelassen. Alles lag an der Oberfläche, es schrie geradezu nach Beachtung, und es war mir nicht möglich, mich darum zu kümmern. Ich hätte therapeutische Unterstützung gebraucht und diese habe ich nicht erhalten. Also habe ich versucht, das irgendwie “wegzupacken”. Im Nachhinein sehe ich diese Erfahrung als eine Retraumatisierung an, die das eigentliche Trauma noch verstärkt hat.
Ende des Klinikaufenthaltes
Ich weiß nicht mehr, wie lange ich noch nach dieser Erfahrung in der Klinik geblieben bin, zwei Wochen vielleicht. Ich war schon immer gut im “wegpacken” und “verdrängen”, jedenfalls dachte ich das. Die Therapeuten haben es geglaubt und mich als arbeitsfähig entlassen.
Kaum war ich wieder zu Hause, bin ich zu meiner Hausärztin gegangen, die mich nur ansah, über den Entlassungsbrief den Kopf schüttelte und mich weiter krankgeschrieben hat. Ich habe ab da so ziemlich alle möglichen Blutabnahmen komplett verweigert, auch in den folgenden beiden Klinikaufenthalten in einer anderen Klinik.